Warum es einfacher klingt als es ist und wie es dennoch geht.
Spätestens seit den 2010er Jahren ist es eigentlich Konsens: wir wollen mehr Eigeninitiative in den Unternehmen. Die anweisende Chefin oder Chef ist out, stattdessen sind strukturelles und psychologisches Empowerment gefragt. Die Mitarbeitenden sollen ihre Kompetenzen zielführend einbringen und erweitern dürfen, ihre Selbstwirksamkeit erleben (können), und selbstständig die Dinge vorantreiben – idealerweise als Team und nicht als Einzelkämpferin oder Einzelkämpfer.
Und doch stellen wir immer wieder fest, was so schön in der Theorie klingt, in Führungskräfte- und Mitarbeitenden-Workshops so leichtfüßig daherkommt, ist in der Praxis nicht ganz so einfach. Gerade junge Mitarbeitenden, die neu dazu stoßen, verzweifeln schnell daran, wie viele scheinbar selbstverständliche Sachverhalte einer Abstimmung bedürfen. Umgekehrt rauft sich so manche Führungskraft die Haare, weil das Team so unselbstständig ist und ohne kontinuierliche Hilfe und Anleitung von oben (scheinbar) gar nichts geht.
Woher kommt also die Diskrepanz zwischen Wunsch und Praxis? Beobachten wir die aktuellen, seit Jahren andauernden Diskussionen, Appelle, Best Practice Beispiele etc., ist klar, dass es am mangelnden Willen nicht liegen kann. Vielmehr liegt der Grund darin, dass für nachhaltiges Empowerment und Stärkungen von Zusammenarbeit an vielen Stellschrauben gedreht werden muss.
Fangen wir mit der Führung an: Führung ist, wie schon Reinhard Sprenger schrieb, grundsätzlich eine wechselseitige Abhängigkeit. Die Führungskraft ist abhängig davon, dass ihre Mitarbeitenden sie anerkennen und akzeptieren. Das gleiche gilt umgekehrt. Klingt trivial, ist es aber nicht. Wer hat nicht schon erlebt, dass Mitarbeitenden „abgeschrieben“ wurden oder gleich alles selbst gemacht wurde? Oder die Mitarbeitenden ihr eigenes Ding machen, getreu dem Motto, ist mir doch egal, wer unter mir Chef ist? Erschwerend kommt hinzu, dass auch die Mitarbeitenden untereinander wechselseitige Beziehungen haben, die sich auch auf das Miteinander mit der Führungskraft auswirken können.
Viele Ansätze, die allein auf die Befähigung von Führungskräften oder Mitarbeitenden abzielen, greifen daher zu kurz. So werden oftmals keine Tools oder Unterstützung bereitgestellt, wie die frisch geschulte Führungskraft nun im Arbeitsalltag ihre Mitarbeitenden von ihrem Empowerment überzeugen und gegebenenfalls auch befähigen soll. Dafür bedarf es in aller Regel auch Zeit, Zeit, die die Führungskraft oft nicht hat. Genauso wenig helfen Trainings für Mitarbeitende oder Team-Workshops, wenn es keinen Rahmen gibt, in dem das Gelernte erprobt und institutionalisiert wird. Veränderungsvorhaben müssen die Wechselseitigkeit berücksichtigen und Anreize setzen, das neu Gelernte oder Verabredete immer wieder umzusetzen und auch Rückschritte oder Fehler verzeihen.
Ganz wesentlich für die Ermöglichung von Empowerment sind zudem die strukturellen Rahmenbedingungen. Der einfachheitshalber fasse ich darunter alle unternehmensspezifischen Aspekte zusammen wie Ziele, Prozesse und Richtlinien, Hierarchien und natürlich Unternehmenskultur. Was hilft es, wenn ein Unternehmen bspw. eine empowerment-orientierte Führungskraft samt seinen eigenverantwortlich und engagiert arbeitenden Team einkauft, die Unternehmenskultur aber von Misstrauen und Neid geprägt ist? Das neue Team kann zwangsläufig seine Potentiale nicht entfalten. In der Konsequenz werden die Erwartungen und die gesetzten Ziele nicht erreicht, und ein erleichtertes „Siehste“ macht die Runde.
Was also ist die Botschaft? Das aufgrund der Komplexität jedes Vorhaben zur Etablierung und Steigerung von Eigenverantwortung, Kompetenzentfaltung, Selbstwirksamkeit und -bestimmung faktisch zum Scheitern verurteilt ist? Mitnichten! Wie gehen wir also vor? Sollen Änderungen am besten gleichzeitig, also sowohl auf der strukturellen als auch der individuellen Ebene, angegangen werden? Auch das ist mit Vorsicht zu genießen, droht dabei schnell die Situation der Überforderung.
Wichtig ist zuallererst bei den (sehr richtigen) Bestrebungen mehr Empowerment zu ermöglichen, die verschiedenen Wechselwirkungen im Blick zu haben. Das bedeutet, dass jede Organisation, jeder Unternehmer sich fragen sollte, was sind die wichtigsten Hebel für das Unter-nehmen, um Empowerment herzustellen? Was soll als erstes angegangen werden und welche Rahmen-bedingungen oder Formate müssen geschaffen werden, damit langfristig eine Veränderung eintreten kann? Welche Themen sollen danach angegangen werden? Gibt es dafür einen Plan mit flankierenden Maßnahmen? Was muss im Auge behalten werden?
Ein wesentlicher Fehler ist aus meiner Sicht, dass Themen entweder zu einseitig (Mindset) oder zu komplex (alles auf einmal) angegangen werden. Dazu kommt die Erwartung, dass die Veränderung innerhalb kurzer Zeit Wirkung zeigt. Doch die Erfahrung zeigt:
Veränderung geschieht nicht von heute auf morgen, sondern bedarf neuer Gewohnheiten.
Jeder, der sich zu Neujahr einmal vorgenommen hat, ab jetzt jede Woche mindestens zweimal Sport zu machen, weiß, wie schwer das ist. Für nachhaltiges und wirksames Empowerment bedeutet das, lieber in inkrementell vorgehen und dabei kleine Erfolge sichern.
Wie Beppo der Straßenkehrer bei Momo sagte: Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken. Man muss an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich.
Denn dann geht uns auf dem Weg zu mehr Empowerment auch nicht der Atem aus.
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